Das globale Handelssystem befindet sich laut dem Bericht von Draghi in einer tiefen Krise. Trotz laufender Bemühungen der EU, die WTO zu reformieren und insbesondere das Streitschlichtungssystem zu reaktivieren, müsse sich die europäische Handelspolitik an neue Verhältnisse anpassen.

Dieser Prozess sei bereits im Gange: Im Juni 2023 hat die EU eine Strategie zur wirtschaftlichen Sicherheit verabschiedet. Diese stellt Instrumente zur Bekämpfung von Dumping, wirtschaftlichem Zwang und Wettbewerbsverzerrungen durch ausländische Subventionen bereit. Zudem zielt die Strategie darauf ab, Technologieabflüsse zu verhindern und Sanktionen durchzusetzen. Gleichzeitig weitet die EU ihr bilaterales Handelsnetz aus.

Europäische Handels- und Industriepolitik müssten Hand in Hand gehen, fordert Draghi. Es gelte, Handelsbarrieren niedrig zu halten und gleichzeitig faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen sowie kritische Lieferketten abzusichern. Handelsmaßnahmen sollten dazu dienen, die Produktivität in der EU zu steigern und Europa wettbewerbsfähiger zu machen.

Darüber hinaus müsse die EU ausländischen Direktinvestitionen besser koordinieren, so Draghi. Ein gemeinsames Vorgehen bei Investitionsentscheidungen könne dabei helfen, technologische Fortschritte voranzutreiben und europäische Unternehmen in strategischen Sektoren zu schützen

Forderung neuer Reformschritte

Der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi fordert in seinem jüngst vorgelegten Bericht von der EU massive Reformschritte. Nur so könne die EU wettbewerbsfähiger werden und mit den USA und China Schritt halten. Draghi schlägt einen Dreiklang aus einer koordinierten Industriepolitik, schnelleren Entscheidungswegen und massiven Investitionen vor. In dem Bericht beziffert er für die EU einen Bedarf von zusätzlichen Investitionen in Höhe von 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr. Dies entspräche bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU. Im Vergleich dazu wurden beim Marshall-Plan ein bis zwei Prozent des damaligen EU-Bruttoinlandsproduktes investiert. Um Entscheidungen in der EU zu beschleunigen, empfiehlt er, dass im Rat zukünftig diese mit qualifizierter Mehrheit statt mit Einstimmigkeit getroffen werden. Zudem muss aus Sicht Draghis massiv Bürokratie abgebaut werden. Laut seinem Bericht wurden in den letzten fünf Jahren in der EU 13.000 neue Gesetze erlassen, in den USA wären es 3.000. Verstärkte Integration sei nötig, um der Zersplitterung der EU in 27 nationale Märkte entgegenzuwirken. Besonders betroffen seien die Bereiche Energie, Technologie, Finanzen und Verteidigung. Wo Draghi den vordringlichsten Handlungsbedarf sieht und was das für die deutschen Unternehmen bedeutet, hat das Team Brüssel für die einzelnen relevanten Politikfelder analysiert.

Quelle: DIHK-Newsletter 26/2024